Anton Hampelmann hatte schon von frühester Kindheit an einen Traum: er wollte Ampelmännchen werden.
Das erste Mal hatte er seinen Traum in der dritten Klasse publik gemacht, als er in Theas Freundebuch schrieb. Zuerst war ihm gar nicht aufgefallen, dass er auf die gepunktete Linie hinter ‚Mein Traumberuf‘ schrieb: „Ampelmännchen sein“. Doch als er es las, hatte er ein kribbeliges Gefühl im Bauch, als hätte man eine Regentonne Ameisen, eine Wäscheladung Tausendfüßler und eine Gießkanne voller Falter in seinem Bauch ausgeschüttet. Er schien es schon immer zu wissen, aber es dunkelblau auf blassgrünem Papier geschrieben zu sehen, war bombastisch. Ihm war, als ob er sein ganzes Leben lang – und das waren immerhin schon 8 Jahre, 5 Monate und 24 Tage – nur darauf gewartet hätte, dass ihn jemand fragte, was sein Traumberuf wäre.
Doch genauso schnell, wie das Gekribbel, Gekrabbel und Geflatter in seinem Bauch aufgetaucht war, war es wieder verschwunden. Übrig blieb eine Schwere, die ihn fast vom Schreibtischstuhl gehauen hätte. Als hätte jemand einen tonnenschweren Felsbrocken auf die Insekten in seinem Bauch fallen lassen. Doch der Fels machte nicht nur die Insekten, sondern auch alles andere, was sich in seinem Bauch befand, platt. Der Brocken hatte allerdings etwas mitgebracht.
Wie einen Luftballon, den der Felsbrocken steigen ließ, als er in seinen Bauch fiel und der nun in seinem Kopf zerplatzt war. Ein zusammengerolltes Papier kullerte über seinen Gehirnboden, von dem sich Anton Zeit seines Lebens wünschte, er hätte es nie entrollt und gelesen. Doch die Nachricht war so penetrant wie ein nach verfaulten Eiern stinkender Pups! Es war die Frage, wie er es schaffen sollte Ampelmännchen zu werden.
Da hätte er sich ja genauso gut überlegen können Toaster zu werden oder Glühbirne, Wasserkocher, Brillengläser, Schuhlöffel, Blumentopf, Waschlappen, Nudelholz, Schreibmaschine und und und.
Mit jedem neuen Gegenstand, der in seinem Kopf erschien, pumpte und klopfte sein Herz lauter. Im Nachhinein war Anton felsenfest davon überzeugt, dass, wenn seine Mutter nicht ins Zimmer gekommen wäre, sein Herz aus seinem Mund geflutscht wäre.
„Mama!“, keuchte Anton.
„Ja mein Schatz?“, antwortete sie, völlig unwissend von den Kämpfen, die sich in Antons Körper abspielten.
„W-w-wie, wie wird man A-Ampelmännchen?“, presste er unter größter Anstrengung hervor.
Seine Mutter kicherte: „Ach du! Wer hat dir solche Flausen wieder in den Kopf gesetzt?“
Anton konnte nicht antworten, sonst würde nicht nur sein Herz aus dem Hals springen, sondern auch seine Ohren überschwemmt werden. Eine tosende Flut machte sich säuselnd in seinem Hörorgan bemerkbar. Er konnte seine Mutter nur mit großen Augen anstarren. Wie konnte sie ihn in dem wichtigsten Moment in seinem Leben nicht ernst nehmen? Es war die wichtigste und schwierigste Frage, die ihm jemals gestellt werden würde. Wenn er darauf keine Antworte finden würde, könnte er genauso gut ins Gras beißen oder seinen Kopf in den Sand stecken. Erkannte sie den Ernst der Lage nicht?
„Mhm??“, machte seine Mutter und klopfte sich mit ihrem rechten Zeigefinger gegens Kinn. „Überlegen wir mal!“
Anton spitzte die Ohren. Das Säuseln und Rauschen in seinen Ohren war mit einem Schlag verstummt.
„Wie kann man ein Ampelmännchen werden?“, wiederholte seine Mutter die Frage und grinste breit.
„Ja? Ja? Ja?“, dachte Anton. „Wie, wie, wie, wie, wie?“
„Also, die schönsten Ampelmännchen hab’ ich in Berlin gesehen, aber…ach halt! Ich hab’s!“
Ein Licht am Ende des Tunnels. Die erlösende Antwort, die wie ein Windstoß alle Insekten und Felsen in seinem Bauch davon pusten würden. Dann könnte wieder Ruhen und Frieden in seinem Körper herrschen.
„Du wirst einfach Polizist!“
„Höh?“, antwortete Anton. „Polizist? Warum?“ Von seinem Herz spürte er keinen Schlag mehr.
„Na, Ampelmännchen regeln den Verkehr. Polizisten oder besser noch Verkehrspolizisten machen das auch.“
„Mhm“, dachte Anton. „Klingt logisch.“
„Weißt du, was du machst mein Schatz?“
Anton schüttelte den Kopf.
„Du wirst Schülerlotse! Ja, das ist eine tolle Idee. Da regelst du den Verkehr und schaust, dass alle sicher über die Straße kommen. So wie ein Ampelmännchen.“
Direkt am nächsten Tag machte sich Anton auf, um Schülerlotse zu werden und kurze Zeit später war er es auch. Er war ein fantastischer Schülerlotse und es machte ihm auch Spaß. Aber da war etwas, das an ihm nagte. Er war nur wie ein Ampelmännchen, er war kein Ampelmännchen.
„Vielleicht, wenn ich Polizist oder Verkehrspolizist werde“, dachte Anton. „Vielleicht kann ich dann Ampelmännchen werden.“
Doch als Anton Verkehrspolizist war, auf einer großen Kreuzung in Berlin stand und den Verkehr für eine ausgefallene Ampel regelte, war er zwar nah dran ein Ampelmännchen zu werden, doch er war immer noch nur wie ein Ampelmännchen. Auch als er sich einen Anzug schneidern ließ, er zur rechten Hälfte grün und zur linken Hälfte rot war und sogar auf Knopfdruck aufleuchten konnte, war er doch immer nur noch wie ein Ampelmännchen. Selbst als er sich zum 100. Ampelmännchen-Jubiläum von einem Kran über eine Kreuzung hängen ließ und sein mit Lämpchen überzogener Anzug abwechselnd grün und rot aufleuchtete, war er doch immer noch nur wie ein Ampelmännchen.
Hätte Anton 50 Jahre in die Zukunft reisen können, hätte er sich leuchtende Farbpigmente unter die Haut setzen lassen können, die durch den Druck von Daumen auf Zeigefinger die Farbe von grün nach rot wechseln konnten. Und hätte er sich von dort auf einen entfernten Planeten drei Galaxien weiter beamen können, hätte er sich auf Ampelmännchengröße verkleinern lassen können. Und wäre er von dort durch ein Wurmloch gereist, das mit Lichtgeschwindigkeit in einer Ampel geendet hätte, hätte er es geschafft, unbeschadet durch das Glas der Ampel zu kommen und in der Ampel wohnen können. Dann wäre Anton Hampelmann ein Ampelmännchen geworden.
Doch zu der Zeit wurden bereits alle Ampeln durch Kreisel ersetzt.